Der Caspar-David-Friedrich-Weg in der Sächsischen Schweiz
Im Sommer 2016 nahm ich die Gelegenheit wahr, den Caspar-David-Friedrich in der Sächsischen Schweiz zu bewandern. Dieser führt auf einem Rundweg vom einstigen Fischerdorf Krippen nach Schöna, von dort aus nach Reinhardtsdorf und wiederum nach Krippen.
Welcher Reiz geht von diesem Weg aus? Zwar wandert man durch dichte Wälder, entlang einiger Bauernhöfe mit Weideflächen und auf so manchen kleinen Berg beziehungsweise Felsen, doch abenteuerliche Wege wie über die Schramm- und Affensteine oder Aussichten wie von der Festung Königstein, der Bastei oder dem Lilienstein sieht man nicht. Es wohnt dem Weg ein anderer, aber ganz besonderer Zauber inne.
1813, als die Befreiungskämpfe gegen Napoleon nunmehr auch in Dresden tobten und die Lebensbedingungen unerträglich wurden, reiste Caspar David Friedrich, ein bekennender Napoleon-Gegner, nach Krippen. Während seines dortigen Aufenthaltes unternahm er, wie es für ihn typisch war, verschiedene Wanderungen, um Skizzen anzufertigen. Viele der Skizzen wurden für seine bekanntesten Ölgemälde genutzt; allen voran „Der Wanderer über dem Nebelmeer“. Heute dokumentieren elf Schautafeln Friedrichs Wanderrouten und vor allem diejenigen Orte, an denen er seine Skizzen (teilweise vermutlich) anfertigte. Spätestens wenn man die Tafel 8 erreichte, den Blick Richtung Böhmische Schweiz vom Wolfsberg aus genießt und dieses Gefühl hat, die vor einem sich majestätisch zeigenden Felsen und Berge auf merkwürdige Weise als sehr vertraut zu empfinden, erklärt sich der Reiz des Wanderweges. Da steht man also, wo einst einer der größten Maler der Weltgeschichte seine Skizzen anfertigte. Da sieht man also den Zirkelstein und den Rosenberg, die im „Wander über dem Nebelmeer“ aufgenommen wurden.
Abbildung 1: Blick vom Wolfsberg Richtung Böhmische Schweiz (eigene Fotografie)
Am Fuße der zuvor erreichten Kaiserkrone erblickt man jenen Felsen, auf dem der Wanderer das Nebelmeer überblickt.
Abbildung 2: Am Fuß der Kaiserkrone (eigene Fotografie)
Von diesen und ähnlichen Bildern und Aussichten war ich tief beeindruckt. Gleichzeitig kam in mir ein Gefühl tiefster Verbundenheit mit Friedrich aber auch mit der Epoche der Romantik im Ganzen auf. Ich beschäftigte mich in den folgenden Monaten intensiv mit Friedrich, insbesondere mit seiner Kunstauffassung. Denn ich wollte wissen, was ich von einem Maler als Dichter lernen könnte. Und ich wusste und fühlte, dass ich von ihm einiges zu lernen habe.
Im Folgenden skizziere ich Friedrichs Kunstauffassung und stelle dabei Bezüge zur Dichtung in Theorie und Praxis her. Ich arbeite dabei ausschließlich mit Gedanken und Äußerungen des Malers. Als Quellen nutze ich daher seine „Äußerungen“, seine Briefe aber auch seine Bilder und Gemälde. Die angegebenen Quellen beziehen sich immer auf Werke, wo direkte schriftliche Zeugnisse Friedrichs zu finden sind. Ziel ist es nicht, etwas zur Friedrich-Forschung beizutragen, sondern vielmehr Anregungen zu geben, sich mit Fragen der Kunst in Theorie und Praxis auseinanderzusetzen.
Friedrichs Kunstauffassung
Um in Friedrichs Kunstverständnis einzuführen, zitiert Frank Richter in seinem Buch „Caspar David Friedrich – Spurensuche im Dresdner Umland und in der Sächsischen Schweiz“ Friedrichs Gedanken mit dem Titel „Über Kunst und Kunstgeist“ (Richter, 2009, S. 9). Darin werden „Zehn Gebote“ entworfen, an diesen sich ein Künstler orientieren soll. Friedrich fordert unter anderem, dass ein Künstler auf seine innere Stimme hören und sich von Vielwisserei hüten soll. Der Mensch beziehungsweise der Künstler wird als ein Individuum verstanden, welches seine persönliche Wahrnehmung und Verarbeitung dieser Wahrnehmung hat. Dementsprechend können die Meinungen und Lehren anderer für einen nur dann dienlich sein, wenn eine annähernd gleiche Gesinnung vorliegt. Jemand, der die Natur als ein Zufallswerk ansieht, wird jemandem, der die Natur als Werk voller Ordnung und Harmonie begreift, keine Regeln und Gesetze der Kunst aufbürden können. Die Vielwisserei über die Lehren und Regeln aller möglichen Künstler und Kunstkritiker nützt insofern nichts, als dass damit lediglich die Vernunft angesprochen wird, die eigene Wahrnehmung, das Persönliche oder das Gefühlte aber außen vor bleiben. Jedes wahre Kunstwerk ist ein individuelles Werk einer bestimmten Person (vgl. Hinz, 1984, S. 83f.). Es nützt demzufolge nichts, wenn ein Künstler den Stil, Perspektiven, Sichtweisen und Techniken eines seiner Vorbilder bloß nachahmt. Denn somit entstehen keine individuellen und eigenen Werke, sondern lediglich Kopien. Friedrich gebraucht dahingehend ein geflügeltes Wort, welches in seinen schriftlichen Nachlässen oft zu finden ist: „Keine soll mit fremden Gute wuchern und sein eigenes Pfund vergraben! Nur das ist dein eigenes Pfund, was du in deinem Innern für wahr und schön, für edel und gut anerkennst.“ (Hinz, 1984, S. 83) Das eigene Pfund ist das Individuelle eines Künstlers. Dieses ist zum Ausdruck zu bringen und gibt einem Gemälde beziehungsweise einem Kunstwerk erst seinen eigentlichen Wert.
Anhand dieser Gedanken Friedrichs lässt sich bereits seine Zugehörigkeit zur deutschen Romantik erkennen. Es besteht Einigkeit darüber, dass die Romantiker Kritiker der Aufklärer waren. Die Aufklärer beriefen sich, so die Kritik, alleine auf ihr Vernunftideal und ignorierten dabei die emotionale Seite des Menschen völlig. Friedrich spricht sich ebenso gegen ein reines Vernunftideal aus, wenn er die Vielwisserei und die damit verbundene Abtötung des Gefühls bespricht. Daraus und aus der generellen Kritik der Romantik an der Aufklärung ist jedoch nicht zu schließen, dass die Romantiker einer Opposition zum Ideal der Vernunft darstellen – wie es gerne geglaubt wird. Die Romantik und auch Friedrich wollen den Menschen wieder ganzheitlich betrachtet und verstanden wissen. Die Kritik dieser Epoche ist vielmehr eine Kritik an einer einseitigen Perspektive auf den Menschen. Friedrich notierte diesen Gedankengang mehrfach direkt und indirekt in seiner „Äußerung bei der Betrachtung einer Sammlung von Gemälden von größtenteils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern“. Deutlich wird dieser durch die folgenden Bemerkungen über einen Künstler durch Friedrich ausgedrückt:
„Schade, dass dieser Künstler bei so vielen Fähigkeiten und ausgezeichneter Geschicklichkeit geistig tot ist, oder schlimmer noch, sich selbst verleugnet und das eigene Pfund vergräbt und mit fremdem Gute wuchert. […]
Dies Bild ist schön gemacht, doch nicht durchdacht;
es ist erfunden, aber nicht empfunden.
Dies ist tiefempfunden, doch weniger durchdacht
und schlechter noch gemacht.
Dies Bild ist wohl empfunden und reichlich auch durchdacht,
doch weniger gut gemacht.
Dies sind also die Malereien des geistreichen Künstlers X, wie der Lobhudler oder die Unkunde ihn nennt. Was er bis jetzt geliefert, ist nicht mehr als eine Nachäfferei nach Claude Lorrain, nach Vernet und nach Schinkel. Wer selbst Geist hat, kopiert nicht andere.“ (Hinz, 1984, S 86)
Ein Kunstwerk ergibt sich alles in allem aus drei Teilen: Empfinden, Durchdenken und Geschicklichkeit. Das Empfinden (das Gefühl, das Individuelle etc.) ist nach Friedrich der wichtigste Bestandteil eines Kunstwerkes, jedoch nicht der einzige. Das, was empfunden wurde, muss entsprechend dargestellt und arrangiert werden. Dazu gehören Fragen nach der Aufteilung eines Gemäldes, die Formatwahl, Farbwahl usw. Ohne Durchdenken, ohne einen Funken Geist und Vernunft kommt kein Kunstwerk aus. Letztendlich bedarf es einer guten Umsetzung des Gefühlten und Gedachten. Dazu muss der Künstler Geschicklichkeit, das heißt meisterhafte Fähigkeiten mit dem Pinsel oder anderen Instrumenten, an den Tag legen. Es ist sich vom Künstler stets zu fragen: Was empfinde ich? / Wie offenbart sich mir die Natur? Wie kann ich diese Empfindungen darstellen? Erst danach ist an die konkrete handwerkliche Umsetzung des Kunstwerkes zu denken. „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ (Hinz, 1984, S. 92) Alle drei Teile sollen am Ende zeigen, dass ein Individuum mit eigenen Gefühlen, Gedanken und eigener Geschicklichkeit ein Kunstwerk erschuf. „[W]er immer ängstlich links und rechts nach anderen sich umsieht, wie sie’s tun und halten, in dem möchte wohl nicht viel verborgen liegen[.]“ (Hinz, 1984, S. 96) Friedrich räumt aber ein, und in meinen Augen ist das ein Ausdruck von tiefer Menschenkenntnis, dass eine geistige Verwandtschaft eines Künstlers mit einem anderen dazu führen kann, dass jener ähnliche Werke hervorbringt wie sein Geistesverwandter. „[A]ber diese Verwandtschaft ist weit entfernt von Nachäfferei.“ (Hinz, 1984, S. 87)
Was ist abschließend die Funktion eines Bildes beziehungsweise eines Kunstwerkes? Welchem Zweck dient es? Wieso fertigt man es an? Aus dem bisher Gesagten kann bereits erschlossen werden, dass ein Gemälde für den Künstler eine darstellende Funktion hat. Das, was er empfunden und durchdacht hat, will er (für sich) zum Ausdruck bringen. Folglich ist jedes Gemälde als eine Art Charakterstudie eines Künstlers aufzufassen (vgl. Hinz, 1984, S. 98). Ein Gemälde, das in den Augen Friedrichs mehr sagen kann als Worte (vgl. Hinz, 1984, S. 96), soll ferner Gefühle, Empfindungen und Gedanken beim Betrachten auslösen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das die Gefühle etc. des Malers oder des Künstlers sind. Sollte ein Gemälde dazu in der Lage sein, ist das nach Friedrich das größte Verdienst für einen Künstler (vgl. Hinz, 1984, S. 112). Ziel ist es demnach nicht, nur etwas abzubilden, was man in der Natur sah, sondern so darzustellen, dass die Betrachtung des Kunstwerkes bei den Betrachtenden etwas auslöst. Das hohe Ideal der Naturtreue (also die exakte Darstellung von dem, was ein Künstler gesehen hat) ist der eine Aspekt eines Kunstwerkes. Ein anderer Aspekt ist das Auslösen von Gedanken und Gefühlen während der Betrachtung. Der zweite Aspekt wiegt nach Meinung Friedrichs höher als der erste. Dies wird besonders in einem Empfehlungsbrief Friedrichs für seinen Schüler August Heinrich aus dem Jahr 1820 deutlich. Dort weist der romantische Maler letztendlich auf etwas Höheres als die Naturtreue hin. Er schrieb:
„[U]nter der treuen Nachahmung der Natur fühlt Heinrich es recht lebendig, dass die Kunst noch eine höhere Form am Künstler und wiederum der Mensch vom Kunstwerke zu machen hat. Nach meiner Überzeugung wäre gerade das reinere, höhere Streben, was an Heinrich betrachtet und belohnt zu werden verdient, umso mehr, da es so selten ist.“ (Zschoche, 2006, S. 148; die Zitate aus dieser Quelle sind der heutigen Rechtschreibung angepasst; Zschoche lässt Friedrichs Rechtschreibung in seinem Sammelband bestehen.)
Sein Schüler, der mit 28 Jahren viel zu jung verstarb, vermochte es im besonderen Maße, über die Naturtreue hinaus Empfindungen und Gedanken bei den Betrachtern seiner Werke auszulösen. Er schien damit viel von seinem Meister gelernt zu haben. Dass dies möglich war, ist in Anlehnung an die obigen Gedanken ein Indiz dafür, dass zwischen Friedrich und Heinrich eine geistige Verwandtschaft bestand.
Die Lehren des Malers für den Dichter
Die nun nachfolgenden Lehren, die aus der Kunstauffassung von Friedrich zu ziehen sind, sind gewiss nicht nur für die Dichtung zu gebrauchen. Ich überlasse es aber den Lesenden anderer Kunstrichtungen, die Lehren auf ihre jeweilige Kunst zu beziehen.
Eine häufig gestellte Frage unter Dichtern ist, wie es gelingen kann, Gedanken und Gefühle bei den Lesenden zu wecken. Um auf diese Frage eine Antwort zu finden, helfen uns Friedrichs Gemälde „Mönch am Meer“ sowie seine Gedanken dazu. Im besonderen Maße löst dieses Gemälde noch heute allerlei Assoziationen und Empfinden in den Betrachtern aus. Das verwundert insofern, als dass das Gemälde nicht viel darzustellen scheint. Betrachten wir Friedrichs Gedanken dazu, lüftet sich das Geheimnis.
„Es ist nämlich ein Seestück, vorne ein öder, sandiger Strand, dann das bewegte Meer, und so die Luft. Am Strand geht tiefsinnig ein Mann im schwarzen Gewand, Möwen fliegen ängstlich schreiend um ihn her, als wollten sie ihn warnen, sich nicht auf [das] ungestüme Meer zu wagen. Das war die Bildbeschreibung [...].“ (Zschoche, 2006, S. 64)
Kurz und knapp beschreibt Friedrich also sein wirkungsvolles Gemälde. Ähnlich ging er beim Streit um den „Tetschener Altar“ vor (vgl. Hinz, 1984, S. 133). Der „Mönch am Meer“ wie auch alle anderen Werke Friedrichs sind nicht überladen. Sie zeigen an sich Schlichtes, an sich Weniges, an sich Einfaches. Das Wenige wird jedoch so komponiert, arrangiert und letztendlich illustriert, dass wir angeregt werden, das Kunstwerk zu deuten und zu verstehen. In Friedrichs Werken sind keine komplizierten Anordnungen zu finden. Von Überfüllung macht er keinen Gebrauch. Seine Werke fangen die Blicke der Betrachter ein, indem Szenen, Gegenstände und ihre Anordnung in gewisser Weise simpel dargestellt werden. Jeder Betrachter erhält dadurch einen einfachen Zugang zu seinen Werken. Wir sehen schnell den Strand, den Mönch und das Meer sowie dessen Beziehung zueinander. Diese Einfachheit lässt uns Betrachter aber viel Raum für den anschließenden Prozess, durch diesen Friedrichs Werke wohl immer zeitlos bleiben werden: Wir beginnen, etwas zu fühlen und uns Gedanken zu machen. Im zweiten Teil seiner Bildbesprechungen gibt Friedrich die Bilddeutung oder Bildinterpretation an. Diese ist auch für ihn wesentlich länger und komplexer als seine bloße Bildbeschreibung. Wir erkennen zum einen an seinen ausführlichen Interpretationen, was Friedrich fühlte und anhand der konkreten Umsetzung, was er dachte (vgl. Zschoche, 2006, S. 64 in Bezug auf den „Mönch am Meer“; vgl. Hinz, 1984, S. 133 in Bezug auf den „Tetschener Altar“). Bereits anhand seiner Interpretationen erkennen wir, wie viel mit wenigem ausgedrückt werden kann.
Ich sprach bereits in einem anderen Aufsatz davon, dass moderne Dichter oft zum Komplizierten oder „Überpoetischen“ greifen, damit aber für Unverständlichkeit sorgen und somit einen Zugang zum Text gänzlich verwehren. Analog wäre dies der Fall bei Friedrich gewesen, hätte er beispielsweise unrealistische Naturdarstellungen gemalt oder seine Werke mit Gegenständen überfrachtet. Noch einmal: Das größte Verdienst für einen Künstler ist es, wenn etwas bei den Betrachtenden auslöst. Das setzt voraus, dass das jeweilige Kunstwerk so empfunden, durchdacht und handwerklich ausgeführt ist, dass es den Betrachtenden einen Zugang ermöglicht. Dieser Zugang wird unter anderem durch Schlichtheit erreicht. Es gilt nicht, jeden Gedanken oder jedes Gefühl komprimiert darzustellen, sondern ein Kunstwerk zu schaffen, mit welchem Raum geboten wird, Gedanken und Gefühle entstehen zu lassen. Welchen Zweck sollte es demnach für einen Dichter haben, sich hinter komplizierten Wortspielen und Metaphern zu verstecken? Wer verstanden werden will, wer etwas bei den Lesenden auslösen möchte, der muss sich verständlich machen. Ein Mittel zeigt uns Friedrich durch die Schlichtheit aber Klarheit seiner Gemälde auf.
Ein Kunstwerk muss vor allem empfunden werden. Denn im Empfinden drückt sich, wie bereits geschildert, die Individualität des Menschen aus, welche ein Kunstwerk erst zu einem solchen macht. 1807 fertigte Friedrich eine Skizze eines Nadelbaumes an. Er notierte auf dem Blatt „5 ½ Stunden“ (Kennung des Skizzenblattes wird noch ermittelt und nachgetragen). Das Empfinden oder das in-sich-Hineinschauen, mit dem jedes Kunstwerk beginnt, ist kein Vorgang, der kurze Zeit andauert. Dasselbe gilt für das Durchdenken und das Einüben des malerischen Handwerkes. Es bedarf der Zeit und der Geduld, bevor ein Kunstwerk entstehen kann. In der Dichtung neigt man häufig dazu, aus einem plötzlichen Antrieb heraus zu schreiben. Man empfindet etwas oder ein Gedanke kommt einem in den Sinn und sofort notiert man ihn. Schnell wird der Gedanke mit dem einen oder anderen Bild, vielleicht mit Reimen, vielleicht mit einem Metrum versehen und fertig ist das Gedicht – so könnte man glauben. Es lässt sich beobachten, dass solcherlei Gedichte immer irgendwelche Schwächen haben. Entweder sind sie formal unvollkommen, oder Inhalt und Form beißen sich, oder die Rechtschreibung und Grammatik lassen zu wünschen übrig, oder der Inhalt ist bar jeder Vernunft, das heißt voller Widersprüche, Widersinnigkeiten oder einfach Falschheiten. Friedrich mahnt uns Dichter, einen lyrischen Text oder gar ein Kunstwerk langsam entstehen zu lassen. Er/es muss reifen. Wir müssen lange und genau empfinden, gründlich überlegen und letztendlich alles, soweit wir es vermögen, meisterhaft darstellen. Friedrichs Werke zeigen, was Geduld und ausgeprägte Vorarbeit bewirken können, woran wir Dichter uns ein Beispiel nehmen sollten. Ist diesem Zusammenhang lohnt es sich, sich mit der Theorie und damit dem Handwerk der Lyrik vertraut zu machen, damit die lyrische Darstellung von Gedanken gelingen kann. Die Beherrschung gewisser Theorie ist notwendig für ein gutes Kunstwerk, jedoch vermag sie auch ein Kunstwerk zu zerstören oder abzuwerten, wenn sie alleinige Beachtung genießt. Was aus bloßem Reiz oder aus bloßer Theorie entsteht, ist noch lange kein Kunstwerk
Die meisterhafte Darstellung beziehungsweise die Beherrschung des künstlerischen Handwerkes ist ein weiterer Aspekt, dieser sich aus der Betrachtung der Skizzenanfertigungen Friedrichs ergibt. Skizzen wurden von Friedrich angelegt, um seine (inneren) Beobachtungen festzuhalten, aber auch um schlicht das Handwerk zu üben. Ähnlich können wir als Dichter vorgehen: Gedankenfetzen sind demnach nicht nur einfach festzuhalten, wie es die meisten Schreibschulen empfehlen. Mit ihnen ist vielmehr gleich zu arbeiten. Ein Gedanke kann beispielsweise gleich in ein entsprechendes Metrum gebracht oder mit diesem oder jenem Stilmittel ausgestattet werden. Manch einmal empfehlen sich auch mehrere Variationen eines Gedankens. Auf diese Art und Weise gewöhnen wir uns nicht nur an, Gedanken und Eindrücke festzuhalten, ehe wir sie vergessen, sondern üben gleichzeitig auch unser Handwerk, welches aus der entsprechenden Beherrschung der jeweiligen Sprachen besteht. Wer möchte, kann die ersten notierten Eindrücke noch weiter anhand von verschiedenen Techniken und Methoden des Schreibens (beispielsweise diverse Schreibübungen) bearbeiten und bereits die ersten Feinschliffe vornehmen. Doch auch hier gilt es zu beachten, dass damit das eigentliche Gedicht noch nicht vollendet ist und insofern noch nicht als Kunstwerk begriffen werden kann. Weitere Arbeit ist nötig.
Unter den heutigen Dichtern lassen sich verschiedene Positionen ausfindig machen, die natürlich auch in zahlreichen Mischungen auftreten können. Viele, gerade Anfänger, sehen das Gedichteschreiben als etwas rein Subjektives an, was keiner Maßregelung unterworfen sein darf. Sie schreiben frei von Überlegungen und „theoretischen Zwängen“. Reime und Metren werden hier und da gesetzt. Meist wird darauf jedoch verzichtet und zu freien Formen gegriffen. Zwei Abarten von dieser Position sind die notorisch kleingeschriebenen Texte oder Werke, welche die Frage aufwerfen, ob je ein Sprachunterricht besucht wurde. Eine Art Gegenposition nehmen diejenigen ein, die sich zumeist intensiv mit anderen Dichtern befassten. Sie sind in der Theorie bewandert und lassen es auch nicht an Geschicklichkeit fehlen. Die daraus folgenden Texte entbehren jedoch jeglicher Empfindung und sind tatsächlich an Theorien oder allzu komplizierter Vielwisserei gefesselt. Die Verse wirken auf den ersten Blick höchst poetisch, doch einen Zugang zum Text gewähren sie nicht. Schließlich gibt es auch diejenigen Dichter, die sich bemühen, verständlich zu schreiben und vor allem Geschicklichkeit an den Tag legen. Ihre Texte sind mit Reimen und sauberem Metrum versehen oder weisen eine gute Struktur bei freien Metren auf. Allerdings lassen sie Empfindung und Gedanken vermissen. Es werden zumeist Banalitäten in Verse gepackt, diese durchaus für Schreibübungen einen gewissen Reiz darstellen, aber für veröffentlichte und an jemand gerichtete Gedichte an sich keinerlei Wert haben. Kurzum: Sie sind so schlicht, dass sie nichts beim Lesen oder Rezitieren auslösen werden.
Ich möchte dazu aufrufen, diese drei „Extrempositionen“ zu verstehen, sich auf sie auch gerne einmal einzulassen, aber sie zu hinterfragen. Ich möchte dazu aufrufen, gemäß Friedrichs Überlegungen eine ganzheitliche Auffassung von Dichtung zu entwerfen und zu praktizieren. Ein Gedicht wird dann zum Kunstwerk wenn alle drei Positionen miteinander verschmelzen und etwas hervorbringen, das tiefempfunden, tiefdurchdacht und ebenso gut gemacht ist. Freilich ist es nicht jedermanns Anspruch, ein Kunstwerk zu dichten. Wer aber bestrebt ist, zu schreiben, weil er etwas zu sagen hat und dies der Welt verständlich machen möchte, der sollte sich bemühen, ab und zu über das nachzudenken, was er tut und was er mit welchem Mitteln erreichen will.
Schlusswort
Alles in allem lehrt Capar David Friedrich uns Dichtern viel, wenngleich er (hauptsächlich) Maler war. Neben den dargestellten Lehren, die wir aus seinen Gedanken über Kunst und seine eigenen Werke erschließen können, weist Friedrich mit Nachdruck darauf hin, wie wichtig die Individualität für ein Kunstwerk ist. Wer bloße Verstandesarbeit leistet, sich aber nicht bemüht, in sich zu schauen oder sich und sein emotionales Inneres verstehen zu lernen, der schafft keine Kunstwerke. Dennoch sind Menschen (aus welchen Gründen auch immer) zu oft geneigt, dies zu missachten und schaffen Werke, die bar jeder Empfindung sind. Sie sind schließlich unverständlich, nichtssagend oder einfach langweilig und banal. Ich schließe daher mit einer Mahnung Caspar David Friedrichs an die Maler und im Sinne dieses Aufsatzes an die Dichter:
„Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch, was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, war er vor sich sieht.“ (Hinz, 1984, S. 125.)
Quellen
Hinz, Sigrid (1984): Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, München, Rogner&Bernhard.
Richter, Frank (2009): Caspar David Friedrich. Spurensuche im Dresdner Umland und in der Sächsischen Schweiz, Husum, Verlag der Kunst.
Zschoche, Herrmann (Hrsg.) (2006): Caspar David Friedrich. Die Briefe, Hamburg, ConferencePoint Verlag.