Künstlerische Entwicklung

 

Von besonders gescheiten Leuten, die meinen, Ratschläge geben zu dürfen, ist gerne zu hören, man müsse sich mit anderen austauschen, wenn man sich künstlerisch entwickeln möchte. Dieser auf zwei Füßen stehender Ratschlag krankt beidseitig.

Einerseits ist zu fragen, wer sich denn überhaupt künstlerisch weiterentwickeln will. Das Qualitätskritierium der heutigen Zeit ist der blaue Daumen – oder wahlweise das Herzchen oder was auch immer in der virtuellen oder realen Welt für ein angebliches Lob ausgesprochen wird. Sicherlich trifft man auf einige Personen, die vorgeben, Verbesserungsvorschläge für ihre Werke haben zu wollen. Doch wenn die Motivation letztendlich nur daraus besteht, in dem Sinne besser zu werden, um mehr von jenen Lobvarianten zu erhalten, dann wird das vermeintliche Besserwerden nur ein Mittel zum Zweck. Korrekterweise müsste man sagen: Jemand will mehr Lob und schickt sich dazu an, besser zu werden – was auch immer der Ausdruck „besser werden“ dann auch bedeuten mag.

Anderseits ist es an sich kein falscher Gedanke, sich mit jemandem auszutauschen. Die Besprechung künstlerischer Werke mit Dritten hat den erheblichen Vorteil, neue Perspektiven auf die eigene Arbeit einzunehmen und Schwachstellen, die man nicht erkannte, nun vor Augen geführt zu bekommen. Mit wem und wo soll man sich aber austauschen? Jene Ratschlaggeber, die allzu oft um Himmels Willen nie selbst einen Ratschlag erhalten wollen, verweisen dann gerne auf das Internet mit seinen zahlreichen Foren und sozialen Medien.

An sich bietet das Internet die Möglichkeit, sich schnell und unkompliziert mit anderen in Verbindung zu setzen. Nun ist man dort, und gleichermaßen in der realen Welt, mit zahlreichen Problemen konfrontiert, die sich aus dem allgemeinen Phänomen des Narzissmus ergeben, über das ich bereits zu Genüge schrieb. Eine Folge davon ist der Pseudo-Relativismus. Er äußert sich zunächst in Sätzen wie „Jeder hat seine Meinung.“ oder „Geschmäcker sind verschieden.“ oder „Das kann jeder sehen, wie er will.“ Der Witz dabei ist, dass diese Sätze immer dann gebraucht werden, wenn jemand etwas Kritisches sagt beziehungsweise nicht einfach in der Lage ist, ein Lob zu äußern.

Konsequent relativistisch gedacht, kann man nicht-wohlwollende Einschätzungen eines künstlerischen Werkes praktisch abtun, denn es wird auch andere Sichtweisen geben. Und da es viele andere Sichtweisen gibt, aber niemals eine absolut gültige, braucht man für jene negative Perspektive auf das eigene vermeintliche Höchstwerk keine Energie verschwenden. Doch wenn gelobt wird, liest man die obigen relativistischen Sätze nie, obwohl dann der Fall gegeben wäre, dass es viele andere Sichtweise gäbe, nie eine absolute Perspektive eingenommen werden könnte und der Wert des Lobes sich gleichsam wie der des Tadels im Rauch der Bedeutungslosigkeit auflösen würde. Seien wir ehrlich: Im Grunde zeigen die obigen Sätze keine tatsächliche relativistische Haltung, sondern sagen nur aus, man akzeptiert nur Meinungen, die einen in den Kram passen. Andere Meinungen will man nicht hören oder lesen.

Die Fragen sind nun: Was nützt eine pseudorelativistische oder relativistische Sichtweise, wenn man eine künstlerische Entwicklung erzielen möchte beziehungsweise was nützen einem Meinungen überhaupt im Bereich der Kunst? Wenn jeder seiner Meinung haben darf, und das darf auch jeder, ist es leicht, Kritiken abzutun und sich nur auf das Lob zu konzentrieren. Die Folge ist leicht zu erkennen: Konzentriert man sich nur auf das Lob, will man mehr davon haben. Man ist motiviert, produziert mehr und bekommt auch mehr Lob. Ändert sich aber an der Qualität der künstlerischen Arbeit etwas? Nein, warum auch? Das ist nicht möglich, denn wenn auf der einen Seite ohnehin nur Belobigungen betrachtet werden, gibt es keinen Grund, etwas zu ändern, auf der anderen Seite sind Meinungen egal welcher Färbung ohnehin gegenstandslos, eben weil es nur Meinungen sind.

Meinungen ändern sich, haben keinen festen Bestand, wechseln ständig je nach Geschmack des Tages – was heute gut ist, ist morgen schlecht; was heute einen Wert hat, verliert ihn morgen wieder. Selbst wenn man eine Meinung zum Anlass nimmt, etwas an seiner künstlerischen Arbeit zu ändern, müsste man alles am nächsten Tag wieder rückgängig machen, da sich schließlich die Meinung wieder geändert hat. Und dabei bleibt auch immer unklar, auf Grundlage welcher Entscheidung man auf die eine, aber nicht auf die andere Meinung hört. Ist eine Meinung etwa dann richtig, wenn sie von vielen geteilt wird, oder nur von bestimmten Personen?

Der Relativismus ist unnütz, wenn man ihn konsequent befolgt, und unnütz, wenn man inkonsequent ist. Wie kann es gelingen, vom Relativismus abzukehren und eine künstlerische Entwicklung einzuleiten? In der Philosophie beißt sich die Relativismuskatze selbst in den Schwanz, wenn sie den widersprüchlichen Satz miaut „Alles ist relativ.“. Ja? So auch dieser Satz? Und wenn ja, was folgt daraus? Noch eindringlicher wird der Biss in den eigenen Katzenschwanz, wenn gemeint wird, Logik sei etwas Relatives und man zu dieser Sichtweise eine Begründung abgibt, wo am Ende nur wieder das gebraucht wird, was eigentlich relativ sein soll: Logik. Jenseits dieses Exkurses wird man aber feststellen, dass es doch Fundamente gibt, auf denen man aufbauen kann und die relativistischen Denkweisen nicht standhalten. Wofür fertig man ein Kunstwerk an? Um mit jemandem zu kommunizieren. Wenn man nun einwendet, das könne man sehen, wie man will, dann stellt sich die Frage, ist ein Kunstwerk ohne Kommunikation überhaupt sinnvoll denkbar? Gesteht man die Gegensichtweise einmal zu, dann bräuchte man nur zu bitten, ein Kunstwerk bar jeder Kommunikation anzufertigen. Ist es fertig, kommt die Frage: „Was ist das?“ Als Antwort erhält man: „Ein Kunstwerk, das nichts kommuniziert.“ Ich überlasse weitere Überlegungen den Leserinnen und Lesern.

Das Fundament der Kunst ist die Kommunikation. Und davon ausgehend kann man sich nun immer wieder fragen: „Ist das, was ich sagen wollte, angekommen? Wenn nein, was kann ich das nächste Mal besser machen, damit man mich versteht?“ Damit ist es nun möglich, sinnvoll und auf nicht relativistischer Ebene eine künstlerische Entwicklung anzugehen. Will man verstanden werden, ist beispielsweise die Sprache richtig zu beherrschen, oder eine bestimmte Maltechnik einzusetzen oder ein Gesang auf diese und jene Art anzustimmen. Freilich ist Kommunikation von Sender und Empfänger abhängig, sodass Kommunikation auch immer wieder anders verlaufen kann. Aber ihr objektives Fundament, welches sich in den obigen Fragen ausdrückt, bleibt bestehen.

Sich künstlerisch zu entwickeln, heißt sich besser ausdrücken zu lernen – egal auf welchem Gebiet der Kunst. Und sich besser ausdrücken zu lernen, zieht nach sich, Überlegungen anzustellen, was man gefühlt und gedacht hat und wie man das Gefühlte und Gedachte handwerklich so umsetzt, dass das Gefühlte und Gedachte von einem selbst und von anderen verstanden wird. Relativistische Positionen, egal in welcher Spielart, tragen praktisch nichts dazu bei, jene Überlegungen anzustellen und sie in die Tat umzusetzen – beziehungsweise sie verhindern sie sogar. Wo der Relativismus letztendlich nur dem Narzissmus in die Karten spielt, da man durch Relativierungen Gefallen erzeugen und Missfallen abwenden will, erlaubt der Blick auf den Urgrund der Kunst eine objektive Sichtweise, die jenseits aller Selbstdarstellungen und Klicks und Reichweiten umgesetzt werden kann, um letztendlich eine künstlerische Arbeit zu verwirklichen, die einen Wert aus sich heraus schafft, weil sie in der Lage ist, mehr zu kommunizieren als einen verzweifelten Ruf nach Aufmerksamkeit und dem Wunsch nach Bauchpinselei.

Um auf das eingangs erwähnte Problem noch einzugehen; Personen, die ähnlich denken und fern des Narzissmus ein Werk kritisch würdigen können, gibt es überall, aber sie sind selten geworden. Sie sind aber zu suchen und genau mit ihnen sollten wir uns austauschen. Gemeinhin heißt das, sich mit Gleichgesinnten zusammenzutun. Und wenn Gleichgesinnte nicht zu finden sind – und das dürfte immer mehr der Fall sein –, hat jeder die Möglichkeit, vom Fundament der Kommunikation ausgehend für sich einen Maßstab zu entwickeln, der darüber entscheidet, ob ein Kunstwerk gut geworden ist oder nicht. Dabei spielt es keine Rolle, wie oft die Kommunikation gelingt. Ob man verstanden wird oder ob man sich selbst versteht, hängt von vielen Dingen ab. Solange der kommunikative Akt jedoch einmal erfolgreich abgeschlossen ist, hat man viel mehr erreicht als die Dauerfabrikanten mit ihrer Relativismuskatze auf dem Schoß.

 

Ein kleiner Nachtrag:

 

 

Mir ist bewusst, dass meine geschilderte Sicht keinesfalls vor relativistischen Gegenargumenten gefeit ist und die Relativismuskatze laut und böse knurrt. Aber ich möchte die Leserinnen und Leser einfach nur bitte, sich Gedanken darüber zu machen, ob Sätze wie „Das kann jeder sehen wie er will“ wirklich der Ausdruck einer eigenen künstlerischen Position oder nur die Folge des ewigwährenden Narzissmus sind. Vielleicht erscheint es dann dem ein oder anderen sinnvoll, tatsächlich auf eine kritische Würdigung seiner Arbeiten und auf eine künstlerische Entwicklung aus zu sein. Und in Anlehnung an Thomas Nagel sei auch im Bereich der Kunst gesagt: Es mag durchaus sein, dass wir nie eine vollständig objektive Sicht auf die Kunst erhalten können, aber wir können danach gewinnbringend für unser Bedürfnis nach Ästhetik und Erkenntnis streben, sofern wir das Bedürfnis noch haben und nicht bereits vollständig dem Anblick des eigenen Spiegelbildes in der Pfütze unterlegen sind.